Kommentar zum Ahnenforschungskurs

Der hier vorliegende Kurs soll es Schülerinnen und Schülern der Oberstufe ermöglichen in einer vorgegebenen Zeit selbständig ein Portfolio zur eigenen Familiengeschichte zu erarbeiten. Naheliegend ist es als Einstieg in die Oberstufe zunächst eine Verknüpfung mit der persönlichen Geschichte zu finden. Was liegt da näher als die eigene Geschichte zu erforschen und damit verschiedene Dinge, die für die historische Arbeit unabdingbar sind, in einem betreuten Rahmen fundiert zu erlernen? Da sind etwa die intensive und selbstständige Arbeit an einem interessanten Thema, die Erforschung von Quellen und Texten in Archiven, die Befragung von Zeitzeugen (hier eben im persönlichen Umfeld), die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit und damit ein erster Schritt dahin, sich selbst im historischen Gesamtzusammenhang verorten zu können, um nur einige wenige Punkte zu nennen. Außerdem fertigen die Schüler hier (anders als etwa bei der Facharbeit im Jahrgang 12) eine Arbeit an, deren Ergebnisse für sie selbst und ihre Familie u.U. ausgesprochen interessant sind.

Fachdidaktische Überlegungen

Der Lehrplan Geschichte des Landes NRW sieht zudem vor, dass "eine originale Begegnung mit Geschichte ermöglicht"1 werden soll und dass sich für "Themen aus der jüngsten und jüngeren Vergangenheit [...] die Begegnung mit Zeitzeugen als besonders ergiebig erweisen" kann. Dies ermöglicht Ahnenforschung in besonderem Maße. An anderer Stelle heißt es: "Durch eine stärkere Einbeziehung anderer als der im Unterricht sonst üblichen Quellen (z. B. Familiendokumente[...]) eröffnet sich den Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmern nicht nur ein erweitertes methodisches Handlungsfeld und wächst der Bereich der historischen Erfahrung, sondern es werden auch im Unterricht eher unterschwellig vorhandene emotionale sinnliche und ästhetische Wahrnehmungsfelder zugänglich."2 Auch dies macht den Schülern den ohnehin nicht immer leichten Einstieg in die Oberstufe etwas weniger schwer. Bedenkt man zudem, dass das „Hauptdefizit der […] Quellen in ihrem Übermaß an Klarheit oder […] in ihrem Mangel an neugierig machender Unbestimmtheit und an wirklichen Konfliktstoffen“3 liegt, so bietet hier der Umgang mit Quellen, die die eigene Geschichte betreffen in doppelter Hinsicht eine Chance. Zum einen sind die verwendeten Quellen weder im Hinblick auf ihren Inhalt und ihre Sprache noch im Bezug auf ihre äußere Beschaffenheit, z.B. bei Handschriften oder besonderen Schrifttypen, durch das zitierte "Übermaß an Klarheit" ausgezeichnet. Auch einen "Mangel an neugierig machender Unbestimmtheit" und bei besonderen Entdeckungen etwa der Involviertheit der eigenen Vorfahren bei historischen Geschehnissen wie Krieg, Vertreibung oder ganz konkreten Ereignissen wie dem Mauerfall bietet sich häufig auch die Auseinandersetzung mit "wirklichen Konfliktstoffen".

In der Auseinandersetzung mit den familiären Quellen üben die Schüler die Grundschritte der Quellenarbeit ein, zunächst die Sinnerschließung und Verständnissicherung, die Problematisierung, die Bewertung und Beurteilung sowie schließlich im Bezug auf die Erstellung des Portfolios auch die Handlungsorientierung und Zusammenfassung. So gelingt den Schülern in einem eng begrenzten Rahmen die "Erzeugung historischen Wissens"4, indem sie eine Art kleine Familiengeschichte verfassen.

Ein zentraler Vorteil ist zudem, dass mit der Verwendung authentischer Quellen u.U. eine „auratische Erfahrung“5 verbunden ist, wenn von Familie und Verwandtschaft Materialien für die Ahnenforschung zusammengesammelt werden muss, wenn alte Stammbücher oder Geburtsurkunden, Zeugnisse oder Ausreisedokumente vom Urgroßvater oder Lebensmittelkarten oder auch der NS-Ahnenpass der Großmutter für die eigene Arbeit verwendet werden.

Damit leistet die Arbeit an einem Portfolio zur Ahnenforschung einen elementaren Beitrag zur Schaffung eines individuellen Geschichtsbewusstseins, der Orientierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Schüler können hier ihre eigene Geschichtlichkeit im Spannungsverhältnis von gestern, heute und morgen, von Realität und Fiktion, von Historizität und auf der anderen Seite ihre Gesellschaftlichkeit, insbesondere im Hinblick auf Identität, politisches, ökonomisches und moralisches Bewusstsein erkennen.6


Ahnenforschung mit Moodle

Der vorliegende Moodlekurs verbindet dabei mehrere zentrale Aspekte didaktischen Arbeitens. Einerseits arbeiten die Schüler weitestgehend selbständig, erstellen mit dem Portfolio ein Handlungsprodukt, das in Umfang und Qualität ihre Erarbeitung widerspiegelt und damit auch vorbereitenden Charakter für die Arbeit an einer Facharbeit hat. Andererseits kann aber - vorausgesetzt die Schüler arbeiten auch während des Unterrichts an ihren Texten und Aufgaben - der Lehrer nach und nach mit jedem einzelnen Schüler Beratungsgespräche führen, den Text bereits in seiner Entstehung formal und inhaltlich kritisch begleiten.

Struktur des Kurses

Der vorliegende Kurs ist insofern als intensiver Rahmen zur reinen Selbstarbeit der Schülerinnen und Schüler gedacht. Nach und nach durchlaufen sie die durch die Strukturierung des Moodlekurses in Blöcke vorgegebenen Schritte.

Dabei gibt es zwei verschiedene Arten von Arbeitsaufträgen. Der Großteil bezieht sich auf die Arbeit am Portfolio. Die Schüler müssen hier innerhalb des Kurses keine Ergebnisse einreichen, sondern diese am Ende im Rahmen ihres Portfolios in einer Mappe (oder einem Ordner) dem Unterrichtenden zur Verfügung stellen. Ein anderer Teil der Aufgaben sind unmittelbar online zu bearbeitende Zusatzaufgaben. Bei diesen muss der Lehrer nach Ablauf der von ihm gesetzten Frist eine entsprechende Note innerhalb des Moodlekurses vergeben, die für den einzelnen Schüler dann sichtbar ist.

Multimediale Materialvielfalt

Zu beiden Aufgabenarten gibt es in jedem einzelnen Block zahlreiche Materialien. Als Arbeitsgrundlage wird den Schülerinnen und Schülern hier eine multimediale Mischung aus Texten, Verlinkungen (zu verschiedenen, z.T. hochklassigen Internetseiten genauso wie zu hilfreicher Software), Podcasts und Videos zur Verfügung gestellt.

Während die Schüler neben einem Großteil der Arbeit, die sie zu Hause erledigen, auch im Unterricht am Portfolio arbeiten, ergibt sich für die betreuende Lehrkraft die Möglichkeit jeden einzelnen Schüler individuell zu beraten. Dabei können die bereits vorliegenden Teile der Arbeit kritisch hinterfragt sowie Hinweise zur formalen Gestaltung (Gliederung, Zitierweise etc.) und zu Qualität und Umfang der vom Schüler ins Auge gefassten Inhalte gegeben werden.

Inhaltliche Schwerpunkte im Rahmen der Lernplattform

Im Laufe der Zeit erstellen die Schüler für das Portfolio einen Stammbaum mit Hilfe einer downloadbaren Software, erlernen in Ansätzen Methoden und Möglichkeiten der Ahnenforschung (z.B. mit Hilfe von Kirchenbüchern, aber auch in der Online-Datenbank der Mormonen) kennen, trainieren, wie man Archive für seine Zwecke nutzen kann und machen sich klar, welche Orte für die Familiengeschichte eine Rolle spielen, welche Berufe im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Familie ausgeübt wurden (die es z.T. heute schon nicht mehr oder aber immer noch gibt) und woher der Familienname und die Namen der Vorfahren stammen.

In begleitenden Zusatzaufgaben werden grundlegende Begrifflichkeiten geklärt ("Was ist Genealogie?", Zusatzaufgabe 1), notwendige Abgrenzungen vorgenommen ("NS-Ahnenforschung", Zusatzaufgabe 2) und einfache Übungen durchgeführt ("Ein Archiv online durchsuchen", Zusatzaufgabe 3).

Evaluation

Mit Hilfe der Moodle-Aktivität Feedback können die Schüler abschließend eine Rückmeldung darüber geben, wie die Arbeit mit dem Moodle-Kurs zu diesem Thema ihnen gefallen hat.

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1 Lehrplan Geschichte, S.***
3 Schneider, Gerhard: Über den Umgang mit Quellen im Geschichtsunterricht. In: GWU 45 (1994), S. 73-90, hier S. 78.
4 Reeken, Dietmar von: Quellenarbeit. In: Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichtsmethodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2007, S. 154-168, hier S. 156.
5 Pandel, Hans-Jürgen: Textquellen im Unterricht. Zwischen Ärgernis und Erfordernis. In: Geschichte lernen 46 (1995), S. 14-21, hier: S. 19.
6 Vgl. Pandels Ausdifferenzierung des Geschichtsbewusstseinsbegriffs: Pandel, Hans-Jürgen: Dimensionen des Geschichtsbewusstseins – Ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen. In: Geschichtsdidaktik 12,2 (1987), S. 130-142.


Zuletzt geändert: Montag, 7. Mai 2012, 16:43