Ich gebe alles. Außer meine Schuhe

Wie Werbung unsere Sprache benutzt

Wibke Bergemann | 27.11.2006

Der Einfluss der Werbung spiegelt sich auch in unserer Sprache. Verona Pooths „Hier werden Sie geholfen“ ist zu einer festen Redewendung geworden, die selbst auf Schildern vor Bäckereien und Amtsstuben mit einem Augenzwinkern zitiert wird. Werbung spricht eine eigene Sprache, springt zwischen Deutsch und Englisch hin und her, erschafft neue Wörter und hält sich dabei nicht immer an den Duden. Sprachpuristen/innen sehen die deutsche Sprache in Gefahr. Die Sprachwissenschaftlerin Professorin Nina Janich von der Technischen Universität Darmstadt gibt Entwarnung und meint, dass man aus der Werbung sogar etwas über Sprache lernen kann.

Wibke Bergemann: Wie oft dringen Neuschöpfungen aus der Werbung in die Sprache?

Nina Janich: Natürlich benutzen wir im Alltag Redewendungen wie „Nicht immer, aber immer öfter“, „unkaputtbar“ oder „durchschnupfsicher“. Solche Sprüche aus der Werbung werden aber nicht wie ein normales Wort verwendet, sondern immer im Bewusstsein, dass man die Werbung zitiert. Auf lange Sicht verschwinden viele dieser Wendungen auch wieder. Erst wenn sich eine Anleihe aus der Werbung auch langfristig hält, kann sie tatsächlich Eingang in die Alltagssprache finden.

Wibke Bergemann: Werbesprache bleibt Werbesprache?

Nina Janich: Wenn ein neues Wort in der Umgangssprache auftaucht, ist es sehr schwierig nachzuweisen, ob dieses Wort wirklich aus der Werbung kommt, oder ob es nicht schon vorher da war und dann von der Werbung aufgegriffen wurde. Denn viele Neuerungen entstehen in anderen Kontexten und werden von der Werbung lediglich verbreitet. Auch für den Gebrauch des Englischen ist die Werbung in den meisten Fällen lediglich ein Multiplikator.

Wibke Bergemann: Wie viel Englisch wird über die Werbung ins Deutsche transportiert?

Nina Janich: Ich halte die Einflüsse aus der Wirtschaft und aus der Informationstechnologie für wichtiger. Denn da brauchen wir ständig neue Bezeichnungen für technische Errungenschaften. Die Werbung ist dann nur ein Medium, über das solche Phänomene verbreitet werden. Was das Handy oder der Computer kann, sagt einem die Werbung. Die Neuschöpfungen bestehen dann aber bereits und sind nicht ein Ergebnis der Werbung. (…)

Wibke Bergemann: Kommen die englischen Slogans überhaupt bei den Leuten an?

Nina Janich: Eine berühmte Studie der Marketingagentur Endmark von 2003 zeigte, dass erstaunlich viele

der Befragten englische Werbesprüche entweder gar nicht oder falsch verstanden hatten. Dabei war die Studie auf die besonders werberelevante Gruppe der 14- bis 49-Jährigen beschränkt. Besonders schlecht hat der Spruch der Parfümerie Douglas abgeschnitten: „Come in and find out“ wurde von vielen als „komm herein und finde wieder raus“ übersetzt. Diese Studie könnte etwas bewirkt haben. Ich habe den Eindruck, dass die Werbung wieder vermehrt deutsche Ausdrücke benutzt, um aufzufallen. „Ich liebe es“ von McDonalds oder „Geiz ist geil“ sind ja zwei Slogans, die sehr bekannt geworden sind.

Wibke Bergemann: Es geht also nicht darum, ein Image der Weltläufigkeit zu transportieren?

Nina Janich: Doch, das Image spielt eine sehr große Rolle. Bei Lebensmitteln, die mit dem Argument beworben werden, dass sie aus dem Schwarzwald oder aus den Alpen kommen, werden Sie kein Englisch finden. Die Kosmetik- und Parfumindustrie dagegen zeigt ja teilweise Fernsehspots komplett auf Englisch. Gehäuft treten englische Slogans auch bei technischen Produkten auf und bei Produkten, mit denen gezielt ein jugendliches Publikum angesprochen werden soll, weil man davon ausgeht, dass Jugendliche wegen ihrer Nähe zu neuen Technologien wie Handy, SMS oder Chat der englischen Sprache gegenüber sehr aufgeschlossen sind.

Wibke Bergemann: Sprachpuristen/innen sehen eine Gefahr für die deutsche Sprachkultur. Ist das aus wissenschaftlicher Sicht haltbar?

Nina Janich: Das Deutsche ist da relativ resistent. Das Lautsystem des Deutschen und die grammatischen Strukturen bleiben von den englischen Einflüssen weitgehend unangetastet. Die englischen Wörter werden den deutschen Regeln entsprechend in den Satz eingebaut. Es dauert dann vielleicht eine Weile, bis entschieden ist, ob es „gedownloadet“ oder „downgeloadet“ heißt. Aber es wird einfach ein deutsches Partizip gebildet. Ich kenne keine Sprachwissenschaftler/innen, die Anglizismen als eine wirkliche Gefahr für die deutsche Sprache sehen.

Wibke Bergemann: Aber zweifellos nehmen die Anglizismen zu.

Nina Janich: Ein Beispiel dafür ist, dass Nachrichtensprecher/innen jetzt teilweise nicht mehr sagen, „2000 waren die Arbeitslosenzahlen höher“, sondern „in 2000 waren die Arbeitslosenzahlen höher“. Das kommt aus dem Englischen. Sprache verändert sich eben. Eine lebendige Sprache zeichnet sich dadurch aus, dass sie fähig ist, fremdsprachige Einflüsse aufzunehmen und konstruktiv einzubauen. Das gab es schon immer, das ist normal. Eine Gefahr würde dann bestehen, wenn immer mehr Leute gar nicht Deutsch reden, sondern Englisch. Dann könnte man sagen, die Sprache stirbt.

Wibke Bergemann: Wie entstehen Neuschöpfungen in der Werbesprache?

Nina Janich: Werbung muss immer wieder Neues schaffen und verfremden, damit sie auffällt. Aus den kreativen Wortspielen kann man auch etwas über Sprache lernen. Man lacht über den Witz und fragt sich dann, was daran eigentlich so witzig ist. Ein Beispiel ist die GEZ-Werbung: „Ich seh schwarz“, sagt ein Weißer. „Ich weiß“, antwortet ein Schwarzer. Der Spot steckt voller Anspielungen und Mehrdeutigkeiten. Ein anderes Beispiel: Ein Lexikon wirbt mit dem Spruch „Bildung in Deutschland hat auch gute Seiten. 7360, um genau zu sein“. Da wurde das „Gute Seiten haben“ ganz wörtlich genommen und auf ein Buch bezogen.

Wibke Bergemann: Das sind Beispiele mit einem korrekten Deutsch. Das ist nicht immer so.

Nina Janich: In einer Schlagzeile versprach Michael Stich: „Ich gebe alles. Außer meine Schuhe.“ Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Fehler ist oder ob es ein Witz sein sollte. Dagegen spielte der Slogan „Hier werden Sie geholfen“ ganz eindeutig mit dem Dummchen-Image von Verona Pooth. Auch „Deutschlands meiste Kreditkarte“ oder „Das König der Biere“ waren bewusst so eingesetzt. Solche ungrammatischen Endungen werden normalerweise verwendet, um Aufsehen zu erregen. Aber sie haben unterschiedliche Effekte. Ich bin mir nicht sicher, ob Jugendlichen der grammatische Fehler in „Das König der Biere“ überhaupt auffällt. Ältere Leute dagegen ärgern sich darüber, weil das ungrammatisch ist. Ein Teil der Bevölkerung findet das offensichtlich nicht lustig.

Wibke Bergemann: Das heißt, das Bewusstsein für solche falschen Formen ist sehr groß?

Nina Janich: Ja, falsche Formen werden nicht einfach aus der Werbung übernommen. Die Grammatik einer Sprache verändert sich sehr langsam. Momentan gibt es beispielsweise die Tendenz, dass der Dativ und der Genitiv durch den Akkusativ zurückgedrängt werden. Das passiert sowieso. Die Werbung kann damit nur so lange spielen, bis sich das Neue als akzeptierte Form durchgesetzt hat, weil es dann nicht mehr auffällt.

Wibke Bergemann schreibt für Zeitungen und Magazine. Sie lebt in Berlin.

fluter.de Archiv Nr. 53 : „Werbung“ | November 2006 http://www.fluter.de/de/werbung/thema/5481/?tpl=87

Zuletzt geändert: Montag, 7. Mai 2012, 16:43